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Über das Mikrobiom und Allergien
Sie ist Kinder- und Jugendärztin sowie Fachärztin für Allergologie und klinische Immunologie. Caroline Roduit kennt sich insbesondere in Sachen Mikrobiom der Menschen, also der Gesamtheit der Mikroorganismen, sowie Allergien aus.
Frau Roduit, Sie haben sich dem Kampf gegen Allergien verschrieben. Wo steht die Forschung diesbezüglich?
Fakt ist: Allergien treten generell häufiger auf – sowohl bei Erwachsenen als auch bei Kindern. Als Kinderärztin muss ich leider feststellen, dass immer mehr Kleinkinder in ihren ersten Lebensjahren von Allergien betroffen sind. Wir wissen, dass dabei die frühkindliche Exposition zur Umwelt eine wichtige Rolle spielt. Es ist schon länger bekannt, dass Kinder, die auf einem Bauernhof aufwachsen weniger an Allergien leiden als Kinder, die ohne bäuerliche Umgebung gross werden. In einer europäischen Studie wurde vor kurzem aufgezeigt, dass die Darmflora eine wichtige Rolle für den sogenannt schützenden Bauernhof-Effekt spielt.
Woher kommt das?
Eine zentrale Erkenntnis dieser Studie – an der übrigens auch Schweizer Kinder teilnahmen – ist, dass die Darmflora von Bauernhofkindern früher ausgereift ist. Das ausgereifte Darmmikrobiom produziert mehr Stoffwechselprodukte, sogenannte Metaboliten, wie kurzkettige Fettsäuren. Diese könnten mindestens einen Teil des schützenden Effekts gegen Allergien erklären. Generell gilt: Die Ernährung beeinflusst das Darmmikrobiom– besonders in den ersten Lebensjahren.
Können Sie uns das bitte näher erklären?
Man weiss, dass der Darm ein zentrales Organ für das Immunsystem ist und auch, dass ein Zusammenhang zwischen Darmmikrobiom und entzündlichen Krankheiten wie Allergien besteht. Bakterien können direkt mit dem Immunsystem im Darm kommunizieren.
Was ist das menschliche Mikrobiom eigentlich?
Das Mikrobiom funktioniert wie ein hochkomplexes eigenes Organ. Den allergrössten Teil davon machen – neben Pilzen und Viren – Bakterien aus. Bei Menschen gibt es über 1000 verschiedene Bakterienarten mit insgesamt bis zu 100 Billionen Bakterien. Der Aufbau des Mikrobioms im menschlichen Körper beginnt bereits im ersten Lebensjahr und die Bildung des Immunsystems findet parallel statt.
Wieso weiss man, dass das Mikrobiom eine solch grosse Bedeutung hat?
Diese hat sich in den letzten Jahren zunehmend herauskristallisiert. Ich gebe Ihnen folgendes Beispiel: Im Jahr 2000 wurden insgesamt etwas weniger als 100 wissenschaftliche Artikel zum Thema Mikrobiom verfasst – im Jahr 2020 wurden bisher schon mehr als 15 000 Artikel publiziert. Daran kann man die Bedeutung und den Erkenntnisgewinn zum Mikrobiom ablesen. Man weiss heute, dass das Mikrobiom eine zentrale Rolle im Zusammenhang mit entzündlichen Krankheiten spielt. Dazu gehören Allergien, Autoimmunerkrankungen, Krebs, Diabetes oder neurologische Krankheiten wie Alzheimer.
Allergien nehmen ja, wie bereits vorhin angetönt, zu. Hat sich das Mikrobiom verändert?
Wir müssen uns zuerst fragen: Wo sehen wir einen Zusammenhang von Zunahmen von Allergien und Mikrobiom? Diese Frage ist noch offen, aber wir haben gewisse Hinweise dazu. Hierzu existiert die Biodiversitätshypothese; diese wurde unter anderem aus Finnland suggeriert. Sie stellt einen Zusammenhang zwischen den vorher beschriebenen Beobachtungen her. Denn wenn die Kinder, die auf einem Bauernhof aufwachsen, weniger unter Allergien leiden, kann man davon ausgehen, dass die Biodiversität der Umwelt eine sehr wichtige Rolle spielt. In unserer europäischen Bauernhof-Studie war eine der wichtigsten Erkenntnisse, dass es bei Bauernhof-Kindern eine grössere Vielfalt von mikrobieller Exposition gibt.
Wie kann man ein möglichst gesundes Mikrobiom erhalten oder pflegen und wie wichtig ist es für Kinder?
Eines ist klar: Das Mikrobiom hat einen wesentlichen Einfluss auf unser Immunsystem. Wir müssen aber noch besser verstehen, welche Bakterien für welche Abläufe im menschlichen Körper verantwortlich sind. Das Schlüsselwort heisst Diversität: Die Ernährung und Umweltexposition könnten in Bezug auf die Entwicklung des Mikrobioms eine sehr wichtige Rolle spielen, insbesondere bei Kleinkindern. Mit anderen Worten: Je vielfältiger die Ernährung, je mehr Kontakte zu Tieren und Pflanzen, desto besser ist das für die Entwicklung unseres Mikrobioms und als Folge auch für unser Immunsystem. In Bezug auf die Haut könnten zudem Reinigungs- und Spülmittel einen Einfluss auf das Hautmikrobiom haben.
Wie gelangt man zu einer Haut, die von nützlichen Hautbakterien dominiert wird?
Diese Frage kann so noch nicht beantwortet werden. Es braucht die richtigen Bakterien in der richtigen Zusammensetzung auf der Haut und auch die Diversität des Hautmikrobioms spielt eine wichtige Rolle. Es gibt Anhaltspunkte, die auf bestimmte Bakterien bzw. Bakterienstämme hinweisen, die einen positiven Einfluss auf Allergien haben, also einen gewissen Schutz bewirken. Zwar gibt es in Bezug auf Probiotika – das sind lebende Mikroorganismen, die einen vorteilhaften Effekt auf die Gesundheit haben – interessante Daten. Doch ist es noch zu früh, um abschliessend sagen zu können, welche Bakterien gesundheitsfördernd für unsere Haut sind. Ausserdem könnte auch die Wasserqualität einen Einfluss auf das Hautmikrobiom haben. Hier ist noch viel Forschungsarbeit gefragt.
Was erwarten Sie von der Entwicklung in der Forschung des Mikrobioms?
Neue Strategien zur Allergieprävention werden die positive Beeinflussung des Mikrobioms und damit des Immunsystems beinhalten. Deswegen denke ich, dass die vorhin erwähnten Probiotika, und/oder auch deren Metaboliten, ein grosses Potential für die Allergieprävention haben.
Text erschienen im aha!magazin, das man kostenlos abonnieren kann.